In den 1930er Jahren entwickelten Psychiater neue Therapien, die über den Körper auf die Seele einwirken sollten. Die Behandlung mit Insulin wurde 1933 in Wien zum ersten Mal angewendet. Mit diesem Mittel versetzten Ärzte Psychiatriepatienten in ein Unterzuckerungskoma und »weckten« sie dann mit Zuckerlösung wieder auf. Die Cardiazolbehandlung entwickelte der Psychiater Ladislaus J. Meduna 1934 in Budapest. Mit dem Kreislaufmittel Cardiazol erzeugte er künstliche Krampfanfälle, die therapeutisch wirken sollten. Die Elektrokrampftherapie (EKT) fand 1938 ihre erste Anwendung in Italien. Dabei wurde mit Stromimpulsen bei Patienten ein epileptischer Anfall ausgelöst. Die EKT ersetzte bald die Behandlung mit Cardiazol und Insulin: Sie war leichter durchzuführen und billiger.
Diese Therapien verbreiteten sich auch in den deutschen Anstalten. Sie waren für die Patienten qualvoll und mit dem Risiko körperlicher Schäden verbunden. Manche Angehörige und Patienten erhofften sich dennoch eine Besserung. Vor allem verstärkten die neuen Mittel den therapeutischen Anspruch der Psychiater und die Hoffnung, psychische Erkrankungen endlich heilen zu können.
Die ärztliche Abteilung der T4 unterstützte die Durchführung der Therapien und die Versorgung der Anstalten mit EKT-Geräten. Im T4-Meldebogen wurden Einsatz und Erfolg der neuen Behandlungen abgefragt. Die Kehrseite der neuen Heilmöglichkeiten war im Nationalsozialismus die Vernichtung der »unheilbaren« Patienten.
Da gilt der Mensch rein gar nichts, er wird nur behandelt, wie es die Ärzte wollen. Da gilt es zu kämpfen, um nicht den Glauben an sich selbst und die Zukunft zu verlieren. (...) Bis heute habe ich 24 Nervenschocks durchmachen müssen! Diese unsere Kur ist einschneidend für jeden, der mit mir dasselbe Schicksal teilt.
Erich G., Patient der Heil- und Pflegeanstalt Göttingen, in einem Brief über seine Insulinkur, 1938, zit. nach C. Beyer: Die Einführung der »heroischen« Therapien in den Heil- und Pflegeanstalten der Provinz Hannover 1936–1939, in: H.-W. Schmuhl/V. Roelcke (Hg.): »Heroische Therapien«. Die deutsche Psychiatrie im internationalen Vergleich 1918–1945, Göttingen 2013, S. 241