Die Geschichte von Eugenik und »Rassenhygiene« beginnt im 19. Jahrhundert. Der Begriff Eugenik wurde 1883 vom englischen Naturforscher Francis Galton (1822–1911) geprägt. Er verknüpfte von Charles Darwin (1809–1882) beeinflusste Vorstellungen vom »Kampf ums Dasein« mit anderen Rassenlehren, die von der Ungleichheit menschlicher »Rassen« ausgingen. Um eine »Degeneration« des Volkes zu verhindern und die Höherentwicklung der Menschheit zu fördern, sollten unerwünschte Bevölkerungsgruppen durch Sterilisation oder Selektion von Neugeborenen »ausgemerzt« (»negative Eugenik«), erwünschte hingegen durch bevölkerungspolitische und sozialstaatliche Maßnahmen unterstützt werden (»positive Eugenik«).
Die Eugenik war ein internationales Phänomen. Zu ihren Anhängern gehörten Konservative und radikale Rechte, aber auch Liberale, Sozialdemokraten und Vertreterinnen der Frauenbewegung. Eugenisch motivierte Gesetze zur (Zwangs-)Sterilisation gab es seit dem frühen 20. Jahrhundert in den USA, wo es eine starke eugenische Bewegung gab, in Kanada, in der Schweiz oder in Skandinavien. Während international der Begriff Eugenik geläufiger war, setzte sich in Deutschland die Bezeichnung »Rassenhygiene« durch, die der Mediziner Alfred Ploetz (1860–1940) 1895 eingeführt hatte. Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte die eugenische Bewegung auf Grund der schwierigen wirtschaftlichen Situation in Deutschland einen Aufschwung. Nicht nur unter Ärzten und Wissenschaftlern, sondern auch in Politik und Bevölkerung stieß eugenisches Gedankengut zunehmend auf Akzeptanz. Dabei spielten ökonomische Argumente wie Kosten-Nutzen-Rechnungen eine zentrale Rolle. Daran knüpfte der Nationalsozialismus 1933 an.
Lexikoneintrag von 1894
»Euthanasia medica«
Euthanasie (griech.), Todeslinderung, das Verfahren, wodurch der Arzt den eintretenden Tod für den Sterbenden möglichst zu erleichtern und schmerzlos zu machen sucht, besteht hauptsächlich in zweckmäßiger Lagerung, Darreichung von Getränk, Anwendung anästhetisierender und narkotischer Mittel bei Vorhandensein von Schmerzen und vor allem im Fernhalten von jeder äußeren Störung, jeder Andeutung über den bevorstehenden Tod, auch dann, wenn der Sterbende scheinbar unbeteiligt daliegt.
Meyers-Konservationslexikon, Bd. 6 (Ethik – Gaimersheim), Leipzig/Wien 1894 (5. gänzl. neubearb.. Aufl.), S. 59f.
Aus den Leitsätzen der »Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene (Eugenik)« (1931/32)
1. Alle menschliche Leistung, des Einzelnen wie der Völker, erwächst auf der Grundlage der erblichen Veranlagung.
2. Die größte Gefahr für ein Volk ist die Entartung, d. h. die Verarmung an wertvollen Erbanlagen. Entartung tritt ein, wenn die tüchtigen Volksgenossen weniger Kinder haben als die minder tüchtigen.
3. Die wesentliche Aufgabe der Rassenhygiene oder Eugenik ist die Erhaltung der wertvollen Erbstämme in allen Volksschichten. Ein gesicherter Bestand an festgefügten Familien ist eine unentbehrliche Grundlage für das Gedeihen eines Volkes. Tendenzen, die auf eine Lockerung von Ehe und Familie hinauslaufen, sind als volksfeindlich zu verwerfen.
4. Die Geburtenzahl in den erbtüchtigen Familien des deutschen Volkes reicht nicht mehr zur Erhaltung des Bestandes aus. […]
5. Entscheidend für die Erhaltung der erbtüchtigen Familien ist, zumal bei der wirtschaftlichen Enge der Gegenwart, ein Ausgleich der Familienlasten. […]
10. Alle, die heiraten wollen, sollen gehalten sein, sich rechtzeitig durch einen sachverständigen Arzt (Eheberater) untersuchen und eugenisch beraten zu lassen. Menschen aus erbtüchtigen Familien sollen nur in erbtüchtige Familien heiraten und möglichst viele Kinder haben.
11. Die Fortpflanzung von Menschen, von denen minderwertiger Nachwuchs zu erwarten ist, ist möglichst zu verhüten. Ein geeignetes Mittel, die Fortpflanzung Untüchtiger zu verhüten, ist die Sterilisierung (Unfruchtbarmachung), die mit Zustimmung der betreffenden Personen oder ihrer gesetzlichen Vertreter auszuführen wäre. […]
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 26 (1932), S. 234f.
Der Mediziner Fritz Lenz über Rassenhygiene und Eugenik in Deutschland (1931)
Zurzeit sind bei uns Bestrebungen am Werk, das Wort Rassenhygiene möglichst zu vermeiden. Auch mehrere Ortsgruppen der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene haben […] sich in Gesellschaft für Eugenik umbenannt. Es sprechen gewiß manche Gründe dafür; denn auf gewisse Weise wirkt das Wort Rasse nun einmal wie ein schwarz-weiß-rotes Tuch [Anspielung auf die von der politischen Rechten in der Weimarer Republik verwendeten alten »Reichsfarben«]. Wenn man schon Rücksicht auf politische Richtungen nimmt, so muß man allerdings auch bedenken, dass für die völkische Bewegung, die in Deutschland auch eine Macht darstellt, und zwar eine wachsende Macht, das Wort Rasse gerade einen angenehmen Klang hat. Gerade mit Rücksicht auf die Aussichten praktischer Durchführung rassenhygienischer Reformen tut man daher meines Erachtens nicht gut, das Wort Rassenhygiene ganz zu vertilgen. Man sollte es mindestens neben dem Wort Eugenik bestehen lassen. So wie die Dinge liegen, wirkt zurzeit das Wort Rassenhygiene in völkischen Kreisen stärker werbend, das Wort Eugenik dagegen in jüdischen, sozialdemokratischen und katholischen Kreisen.
Fritz Lenz: Menschliche Auslese und Rassenhygiene (Eugenik), in: Erwin Baur/Eugen Fischer/Fritz Lenz: Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene, Bd. 1, München 1931 (3. verm. Aufl.), S. 253f.