Als Leiter der »Kanzlei des Führers« der NSDAP (KdF) gehörte Philipp Bouhler zu den Hauptverantwortlichen für die »Euthanasie«-Verbrechen. 1899 in München geboren und dort aufgewachsen, schlug er zunächst eine Offizierslaufbahn ein. Im Ersten Weltkrieg wurde er verwundet. Nach Kriegsende und Eintritt in die NSDAP 1922 war er für NS-Zeitungen und als Parteifunktionär tätig. 1925 wurde Bouhler Reichsgeschäftsführer der NSDAP. 1934 trat er in die SS ein; 1936 folgte seine Ernennung zum SS-Obergruppenführer.
Im November 1934, inzwischen Reichsleiter der NSDAP, wurde er Chef der Adolf Hitler direkt unterstellten und für alle Parteiangelegenheiten zuständigen KdF. Ab 1939 oblag ihr die Organisation der Krankenmorde: Sowohl der für die »Kindereuthanasie« verantwortliche »Reichausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden« als auch die T4 waren der KdF direkt unterstellt. Im Oktober 1939 wurde Bouhler von Hitler gemeinsam mit dessen Begleitarzt Karl Brandt zum Beauftragten für die »Euthanasie« ernannt. In dieser Funktion nahm er an den ersten »Probetötungen« von Anstaltspatienten in Brandenburg teil.
Nach seiner Verhaftung nahm sich Bouhler am 19. Mai 1945 bei Dachau das Leben.
T4-Begutachtungsmaßstäbe – Dienstanweisung von Philipp Bouhler und Karl Brandt (1941)
Entscheidungen der beiden Euthanasie-Beauftragten hinsichtlich der Begutachtung (unter Einbeziehung der Ergebnisse der Besprechung in Berchtesgaden am 10.3.1941)
1. Ausscheidung aller derjenigen, die unfähig sind, auch nur in Anstalten produktive Arbeit zu leisten, also nicht nur von geistig Toten.
2. Nichteinbezogen werden sollen diejenigen Kriegsteilnehmer, die sich entweder an der Front verdient gemacht haben, die verwundet wurden oder die Auszeichnungen erhalten haben. […] Im übrigen schützt Kriegsteilnahme nicht vor einer Einbeziehung in die Aktion.
3. Bei Senilen größte Zurückhaltung, nur bei dringenden Umständen, z. B. Kriminalität bzw. Asozialität Einbeziehung. […]
4. In die Aktion sollen nur Reichsdeutsche einbezogen werden, also auch keine Polen. Es ist eine Zusammenfassung aller Polen in rein polnischen Anstalten in den östlichen Gauen vorgesehen. [...]
5. In Elsaß, Lothringen, Luxemburg, Eupen, Malmedy, Protektorat [Böhmen und Mähren] und Generalgouvernement [Polen] zunächst nicht arbeiten.
6. Ausländische und staatenlose Juden sind in eine dafür einzurichtende jüdische Anstalt zu verlegen. […]
7. Die im Rahmen der Großaktion erfaßten Kinder werden durch die Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten begutachtet und oberbegutachtet. Die positiv begutachteten Fälle werden an den Reichsausschuß [zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten Leiden] zur Ausscheidung gegeben. […]
Im übrigen nach wie vor Ausscheidung nach strengem Maßstab!
Ernst Klee: Dokumente zur »Euthanasie«, Frankfurt/M. 2001 (5. Aufl.), S. 102f.